Der Zeitzeuge Andreas Thieme im Gespräch

Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist. (Victor Hugo)

Am 27.02.2024 war der Zeitzeuge Andreas Thieme zu Gast am Kopernikus Gymnasium Bargteheide. Eingeladen wurde er vom Profilseminar Geschichte in Jahrgang 11, das sich in einer Projektarbeit derzeit mit Protestsongs im 20. Jahrhundert beschäftigt.
Das Zitat von Victor Hugo beschreibt sehr gut die besondere Rolle von Musik in der DDR. Auch Herr Thieme kannte die Bedeutung, denn er war Rockmusiker und galt somit in den Augen des Staates als Widerständler, Rebell, Protestler. Der Einfluss der Rockmusik sollte in der DDR gering gehalten werden. Auftritte wurden beschattet, Bands aufgelöst, Mitglieder verhört und inhaftiert, wenn der Widerstand aus Sicht des Staates zu gefährlich erschien, denn einige Musiker nutzten in der DDR die Chance, in ihren Texten nicht nur Gefühle, sondern auch kritische Gedanken zu transportieren. Von diesen Erfahrungen und Erlebnissen als Rockmusiker berichtete uns unser Gast eindrucksvoll, unterhaltsam und lebhaft.
Herr Thieme wuchs im Erzgebirge, im Süden der DDR, auf. Dort verlebte er mit seiner Familie zunächst eine glückliche Kindheit. Als Sohn eines Baptisten erfuhr er dann bereits im frühen Grundschulalter die Härte des DDR-Regimes, das nur Atheisten als staatskonform anerkannte. Thieme fiel früh auf, leistete Widerstand, indem er im Unterricht den FDJ-Gruß verweigerte. Er hinterfragte oft Anweisungen und Vorgaben. Später, in der Jugendzeit, trug er Jeanshose, Cowboystiefel und lange Haare, liebte Rock`n`Roll-Musik und begeisterte sich für Martin Luther King. Infolgedessen blieb ihm der Weg zum Abitur verwehrt. Doch Thieme machte weiter. Rockmusik war seine Leidenschaft und bestimmte fortan sein Leben. Jung, mutig und unerschrocken spielte er mit seiner Band Konzerte bis es plötzlich zum Verhör kam. Danach musste er unerwartet in eine Untersuchungshaftanstalt. Es folgten Isolation, zermürbende Verhöre und eine  Verurteilung zu zwei Jahre Haft wegen „staatsfeindlichen Verhaltens“. Die Haftbedingungen waren hart. Er wurde getrennt von seiner jungen Familie, die er fortan nicht mehr wiedersah. Thieme sah keine Zukunft in der DDR. 1972 wurde ihm in Haft die Ausreise gewährt.
In Hamburg baute er sich schließlich ein neues Leben auf, machte Abitur und konnte den Beruf ergreifen, der ihm in der DDR verwehrt geblieben war. Er wurde Lehrer. Rockmusik bleibt bis heute seine große Leidenschaft, was er uns auch im Gespräch enthusiastisch vermittelte. Wir danken Herrn Thieme für die Einblicke in sein bewegtes Leben.
Susann Laatsch